Es wurde langsam hell und der Sperling Tschip sitzt in seinem mollig, weichem Nest und schaut durch die Mauerspalte direkt auf den Hof des Bauern Lindemann.
Heute ist der sechste Dezember und es ist bitter kalt, aber auch schön weiß vom glitzernden Schnee. Als der kleine Vogel den Kopf dreht, sieht er zwei seltsame Gesellen vor der Eingangstür des Bauernhofes stehen. „Was machen die beiden Gestalten so früh hier auf dem Bauernhof?“, fragt sich der kleine Piepmatz und kriecht aus dem Nest. Steckt sein Kopf durch die Mauerspalte und fliegt auf die Dachrinne. Dort kann er alles besser übersehen.
Vor der Eingangstür des Hauses stehen Stiefel. „Das kommt nicht oft vor“, denkt sich der kleine Sperling. „Sonst sind die Stiefel fast immer dreckig und liegen kreuz und quer vor der Tür. Mist aus dem Kuhstall oder Schlamm aus dem Garten sind dann dran. Aber heute stehen sie kerzengrade, in einer Reihe vor der Eingangtür und blitzblank geputzt. „Was hat das zu bedeuten?“, fragt sich der der frierende Sperling. Aufmerksam schaut er herunter.
Die beiden alten Männer reden mit einander. Der weißbärtige Alte in einem tiefroten, mit weißem Fell besetzten und einer Kapuze, die an eine Zipfelmütze der sieben Zwerge erinnert. Der andere Mann hat solch ähnliches Gewand an. Tschieb denkt sich: „Der Weißbärtige wird wohl der Chef von beiden sein.“ Ruprecht steckt in das blaue Stiefelpaar eine große Rute und das andere Schuhwerk füllt er mit Bonbons, Äpfel, Apfelsinen, Nüsse, Schokolade und Plätzchen.
„Nikolaus, ach ja Nikolaus!“ Der Alte war im vorigen Jahr auch schon mal hier und hat die drei Kindern vom Bauern Geschenke gebracht, erinnert sich der kleine Vogel. „Aber warum steckt er in Klaus Stiefel Haselnusszweige? Das verstehe ich nicht?“, piept der kleine Spatz vor sich hin. Neugierig fliegt Tschip eine Etage tiefer. Er sitzt jetzt auf der Fensterbank in der ersten Etage. Von dort aus kann er alles noch besser übersehen und natürlich hören. Die beiden Alten haben alle Stiefel gefüllt. Sie setzten sich auf ihren Schlitten und fahren davon. Dieser wurde von Geschöpfe gezogen, die sahen zwar aus wie Pferde, aber hatten ein Geweih. Solche Tiere hatte der kleine Spatz hier noch nie gesehen und auf dem Bauernhof gab es sie auch nicht.
Ruhe ist vor der Eingangstür des Bauernhauses eingetreten und das Piepmätzchen flog auf die Dachrinne und schaute sich um. Er hielt Ausschau nach Knurr, den schwarzen Kater. Dieser war nicht zu sehen und Tschip flog herunter zur Eingangstür. Er war sehr neugierig auf die Stiefel und Schuhe. Alle waren schön gefüllt mit Süßigkeiten, Plätzchen, Nüsse und Apfelsinen. Da lag ein Plätzchen neben dem Schuh von Christa, der Tochter des Bauern. Der kleine Spatz dachte sich so: „Das Plätzchen hat der Nikolaus bestimmt für mich dort hingelegt“ und fing gleich daran herum zu hacken. Dabei fielen ihm die Stiefel von Anton in den Blick. Dort drin standen Zweige, vom Haselnuss-Strauch. Sie waren unten zusammen gebunden. Es sah aus, wie die Rute die der Bauer hat. Damit drohte er immer dem Hund Bello, wenn er nicht artig war. „Nicht schön“, dachte sich Tschip. „Da wird sich der kleine Bauernjunge aber ärgern, dass er keine so schöne Süßigkeiten in seine Stiefel hat.“ Als der kleine Sperling das so dachte, kam die Taube Gurr angeflogen und machte sich gleich über das Plätzchen her. Sie drängelte den kleineren Vogel beiseite und gurte mit grimmigem Blick. „Das ist meins, das hat der Nikolaus für mich gebracht“, piepte der kleine Spatz. Tschip hüpfte wieder zu dem Plätzchen und hackte blitzschnell ein keines Stück ab. Dann fuhr er Gurr die Taube an: „Den Keks hat der Nicolaus für uns Spatzen gebracht, euch Tauben füttert immer der Bauer oder der Knecht. Einer kommt bestimmt nachher und bringt euch Futter.“ So stritten sich der Spatz und die Taube noch eine Weile.
Da plötzlich ging die Tür auf und beide flogen sofort auf das Dach des Bauernhofes. Anton, Christa und ihr kleiner Bruder Hänschen kamen heraus. Auch die Mutter, die Bäuerin Erna kam mit. Alle nahmen ihre Schuhe oder Stiefel. Anton war natürlich sehr enttäuscht, als er die Rute sah und wollte sofort den Inhalt seiner Stiefel mit Hänschen tauschen. Doch die Mutter hatte etwas dagegen. Sie sagte zu ihm: „Du hast vom Nikolaus eine Rute bekommen, also warst du nicht artig“. „Das stimmt“, tschiepte der kleine Spatz: „Er wirft immer Steine nach mir“. „Ja“, gurrte die Taube, „er jagt immer den Hund auf uns, wenn wir am Futtertrog fressen!". Antons Mutter sagte dann weiter: „Das kommt daher, wenn man den Lehrer Streiche spielt und Steine nach Vögeln schmeißt“. Anton drehte sich um und ging weinend ins Haus. Der Bauer, der auch dazu gekommen war, rief hinterher: „Hoffentlich ist dir das eine Lehre!“ Auch die Mutter und der Vater hatten etwas in ihren Schuhen. Der Bauer eine Flasche Branntwein und die Bäuerin Nüsse, Mandelkern und eine Apfelsine. Sie nahmen alle ihre Geschenke und gingen ins Bauernhaus.
Es dauerte nicht lange und der Knecht und die Magd kamen aus dem Haus. Los geht’s: „Na denn, wollen wir mal die Tiere auch ein Nikolausgeschenk machen und füttern sie.“ Als das die Taube hörte, flog sie sofort zum Taubenschlag und zusammen mit den anderen Tauben zur Futterstelle. Dort füllte die Magd gerade den Trog mit saftigen Körnern.
Doch Tschip flog wieder zur Haustür, denn da lag immer noch das Plätzchen. Er konnte jetzt in Ruhe daran knabbern. Als er satt war, flog er zur Dachrinne. Mittlerweile ist es ganz hell geworden. Anton und Christa gingen zur Schule. Der böse Junge schimpfte immer noch. Seine Schwester tat es Leid, das Anton eine Rute bekommen hat und sagte zu ihm: „Heute Nachmittag teilen wir mein Nikolausgeschenk, dann hast du auch eine Freude“. Anton schaute sie ungläubig an, bückte sich und nahm etwas Schnee in seine Hände, formte einen Schneeball und schmiss ihn nach dem Spatzen. Dieser ging aber meilenweit vorbei. Tschip blieb sitzen und tschipte herunter: „Nicht getroffen- Schnaps gesoffen“ und dann schimpfte er ganz laut.
Christa und Anton waren nicht mehr zu sehen und unser kleiner Sperling flog zu seinem Nest um sich etwas zu wärmen.