Zwischen Harz und Börde liegt der Ort Groß- Börnecke. Am Rande des Dorfes steht ein fünfzehn Meter hoher runder Schornstein. Er gehört zu der Grundschule in Groß-Börnecke. Früher diente er einem Heizhaus. Von dort aus wurde die Schule mit Wärme versorgt. Da die Technik sich immer weiter entwickelt, braucht man diesen Schornstein nicht mehr und er wurde stillgelegt. Seit ein paar Jahren hat sich auf der Spitze des Heizhauses ein Storchpaar angesiedelt. Sie haben dort ein großes Nest gebaut und junge Störche aufgezogen.
Im Herbst fliegen die Störche nach Afrika und verbringen dort den Winter. Im Frühjahr kommen sie zurück in ihr Nest und verbringen den ganzen Sommer dort. Weil um der Ortschaft ein paar kleine Seen, viele Wiesen und Felder sind, finden die Störche genügend Futter. Die Lieblingsspeise der Störche sind Frösche und Mäuse.
Die Grundschüler der Schule haben die beiden Störche “Paul und Paula“ genannt. Jeden morgen, wenn die Schüler zur Schule kommen begrüßen Paul und Paula diese mit lauten Geklapper. Fängt der Unterricht an, dann fliegen die Störche auf Futtersuche.
Auf dem kleinen See in der Nähe findet heute ein großes Froschkonzert statt. Jeder der Grünröcke quakt aus voller Kehle und möchte lauter als der andere sein. Dabei bemerken die Sänger nicht, dass über dem kleinen Gewässer die weiße Gefahr mit langem, rotem Schnabel droht. Ihr größter Feind beobachtet sie schon eine ganze Weile aus der Luft. Für Paul und Paula klingen die schiefen Quaktöne wie ein Sinfonieorchester und führen die großen Vögel direkt in das Schlaraffenland. Ein Storch zögert nicht lange und landet in der Nähe des Sees. Vorsichtig stakst er mit seinen langen Beinen zum flachen Ufer. Die Frösche sind so sehr in ihren Wettstreit vertieft, dass sie den schwarz-weißen Vogel nicht bemerken. Plötzlich stößt Paul mit seinem langen Schnabel zu und schnappt sich einen Grünrock aus dem Wasser. Ängstlich zappelt der Kleine mit seinen Froschbeinen und quakt jämmerlich.
Sofort verstummt das Konzert und alle anderen Frösche tauchen vor Schreck im See unter. Dort warten sie unter der Wasseroberfläche ab, was passieren wird. Der Storch legt die Beute vor seine langen, roten Beine und hält sie mit dem Fuß fest.
„Du wirst mir sehr gut schmecken“, meint er zu dem zitternden Frosch. „Du bist ein schmackhaftes Mittagessen.“ Mit leiser Stimme antwortet der Gefangene: „An mir ist doch nichts dran, fang dir lieber eine fette Maus.“ „Nein, ich habe heute Appetit auf Frösche.“ Paul packt den Frosch erneut mit dem roten Schnabel und will sich gerade mit ihm in die Lüfte erheben, als der Kleine einen weiteren Versuch wagt, um am Leben zu bleiben. „Kannst du mir noch einen letzten Wusch erfüllen, bevor du mich zum Mittagessen verschlingst?“ „Eine letzte Bitte darf man eigentlich nicht ausschlagen“, antwortet der Weißstorch. „Sag, was du möchtest, und wenn es in meiner Macht steht, werde ich sie dir gewähren.“ „Nun“, sagt der Frosch, „wir Grünröcke machen jeden Tag untereinander ein Wettschwimmen! Stets bin ich der Sieger. Wie wäre es, wenn wir beide über den See um die Wette schwimmen? Ich möchte gerne sehen, ob ich auch gegen einen Storch gewinne.“ „Gegen mich hast du keine Chance, mein kleiner. Ich habe Schwimmhäute an meinen Füßen und darum gewinne ich. Aber gut, lass es uns ausprobieren. Nachher kann ich dich immer noch fressen!“
Der Rotschnabel lässt den Grünrock aus seinem Schnabel fallen. Nun stehen beide am Ufer und der Storch sagt: „Ich zähle bis zehn und dann springen wir gemeinsam ins Wasser und schwimmen los.“
Der große Vogel Paul fängt an zu zählen. Kaum ist er bei zehn angelangt, springt der Frosch in den See, taucht sofort auf den Grund und verkriecht sich im Schlamm. Bevor der Storch die List des Frosches begreift, ist dieser bereits außer Reichweite. Wütend und hungrig erhebt sich der große Vogel in die Lüfte und fliegt zum Nest auf dem Schornstein und fängt ganz laut an zu schimpfen. Er kann nur hoffen, dass ihm kein anderer dabei zugesehen hat. Das Geklapper ist so laut, das die Kinder die Lehrerinnen in den Klassenräumen nicht mehr verstehen können und alle Fenster schließen mussten.