Am 26. April hat sich die Reaktorkatastophe von Tschernobyl gejährt – und gleichzeitig wird in Deutschland darüber diskutiert, den Atomausstieg zu verzögern. Wir haben einen Experten nach seiner Meinung gefragt.
Kurz vor dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl veröffentlichte die Regierungspartei FDP einen Beschluss. Darin steht, dass die Partei „eine Modifizierung unserer Ausstiegspläne bei Kohle- und Kernenergie“ nicht mehr ausschließt. Die FDP argumentiert, dass die Kernenergie in ihrer derzeitigen Form zwar nicht nachhaltig sei, aber es nötig werden könne, die Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland zu verlängern.
Als Grund wird ein möglicher Importstopp von Gas aus Russland angeführt, welchen die EU wegen des Kriegs in der Ukraine diskutiert, sowie einen Exportstopp, mit dem Russland bereits gedroht hat. „Wir setzen uns deshalb für eine Prüfung dieser Maßnahme ein, um Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit sicherzustellen“, heißt es in dem Beschluss. Dabei müsse allerdings die Sicherheit des Weiterbetriebs oberste Priorität haben.
Auch andere Parteien haben sich für die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland ausgesprochen, allen voran der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Er argumentierte im März: „So für drei bis fünf Jahre wäre das einfach in dieser Notsituation ein guter Übergang, um billigen Strom zu produzieren, der gleichzeitig auch keine Klimabelastung bringt“.
Wieso der Weiterbetrieb der Kraftwerke nicht zur Unabhängigkeit Deutschlands von russischen Importen beiträgt, führt der neue „Uranatlas“ auf, den der BUND gemeinsam mit der Greenpeace Umweltstiftung, der Nuclear Free Future Foundation und der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben hat. Laut Atlas stammen 40 Prozent der europäischen Uranimporte aus Russland und seinem Verbündeten Kasachstan. Auch die noch bis Ende des Jahres laufenden deutschen AKW würden laut Bandt zum großen Teil damit betrieben. „Bei der Herstellung von angereichertem Uran, das für den Betrieb von Atomkraftwerken benötigt wird, ist die Abhängigkeit noch größer“, so die Nuklearexpertin Angela Wolff vom BUND. „Über ein Drittel des weltweiten Bedarfs kommt vom russischen Staatskonzern.“ Aus den Daten geht hervor, dass osteuropäische Länder besonders abhängig von Brennelementen aus russischer Produktion sind. 18 Reaktoren in Bulgarien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien sowie Finnland sollen nur mit sechseckigen russischen Brennelementen betrieben werden können.
„Um die beiden slowakischen Atomkraftwerke mit neuen Brennelementen versorgen zu können, durfte am 1. März sogar eine russische Il-76-Transportmaschine mit Sondergenehmigung landen“, so Uwe Witt, Referent Klimaschutz und Strukturwandel bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. „Wenn Europa die Abhängigkeit von Russland im Energiebereich wirklich beenden will, muss es auch im Atombereich seine Zusammenarbeit mit Russland schnellstmöglich einstellen.“