Im Mai 1950 litt Ostdeutschland unter einer ungewöhnlichen Schädlingsplage. Die SED-Propganda machte dafür die Vereinigten Staaten verantwortlich. Dabei wusste das Politbüro es besser.
Es ist der 23. Mai 1950, ein Dienstag. Bauer Max Tröger aus Schönfels in Sachsen bemerkt gegen 14 Uhr zwei Flugzeuge, die aus Westen in Richtung Werdau fliegen. Tröger denkt sich zunächst nichts dabei; doch wenig später wimmelt es auf seinem Feld von Kartoffelkäfern. Während er in den Tagen zuvor keinen einzigen Schädling entdeckt hat, sammelt Tröger bis Ende des folgenden Tages etwa 500 Stück ein. Auch zwei Nachbarn finden die etwa einen Zentimeter großen Schädlinge mit der typisch gelben Farbe und den fünf schwarzen Längsstreifen auf jedem Flügel. So früh und so schlagartig, wie sie es noch nicht erlebt haben.
Zwei Wochen später beobachtet der Straßenwärter Heinrich Weber aus Horsmar im Kreis Mühlhausen (Thüringen) bei Routinearbeiten am Grünstreifen ein sehr niedrig fliegendes Flugzeug; auch zwei Kollegen aus dem benachbarten Ammern registrieren die Maschine. Unmittelbar danach entdecken sie massenhaft Kartoffelkäfer; in einer schnell organisierten Suchaktion werden 9297 Insekten aufgesammelt.
„Ungeheuerlicher verbrecherischer Anschlag“
Längst hat sich herumgesprochen, wem die DDR-Bürger die plötzliche Plage zu verdanken hätten. Denn seit Ende Mai berichten die Zeitungen über einen „ungeheuerlichen verbrecherischen Anschlag“, dem man auf die Spur gekommen sei. Amerikanische Flugzeuge, die sich außerhalb der üblichen Flugkorridore bewegten, würden Kartoffelkäfer abwerfen. Am 16. Juni wird das sozusagen amtlich bestätigt. Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ erscheint mit der Schlagzeile: „Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.“ Die Zeitung veröffentlicht den Bericht einer Regierungskommission von Agrarstaatssekretär Paul Merker.
Die Experten bestätigen, dass der plötzliche Befall in höher liegenden Gebirgskreisen zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem mit einem Auftreten des Kartoffelkäfers „überhaupt nicht zu rechnen war“. Auch seien die Fundorte in Städten und selbst an der Ostsee erstaunlich, weil den Käfern dort jegliche Lebensvoraussetzungen fehlten. Und sie bestätigen ungewöhnliche Flugbewegungen. Fazit: Die Kartoffelkäfer müssen auf unnatürlichem Wege dorthin gebracht worden sein.
Diese "Ungeheuerlichkeiten" habe ich als Schulkind ab 1957 mitbekommen. Im Grüntal bei Quedlinburg haben wir in mehrerern Jahren Gläser bekommen und hatten die mit Kartoffelkäfern zu füllen. Das der Ami schuld war, habe ich nie gehört. Jedoch, dass so dicht hinter der Grenze die "bösen Bonner Ultras", die "Revanchisten und Faschisten" die Käfer per Ballon zu uns schickten. Tatsächlich habe ich an gleicher Stelle auch mal Flugblätter aus dem Westen aufsammeln und sofort abgeben müssen. Die Lehrer passten akribisch auf, dass sich keiner solch Flugblatt einsteckt. Vollgepumpt mit steter Hetze gegen den Westen unserer Heimat wurden wir die ganze Schulzeit über. Bei mir fruchtete das aber nie, weil ich bereits 1954/55 4 Monate im Westen beim Onkel lebte. Dort sah ich, dass es genauso arbeitssame und normale Menschen wie wir waren.