Es waren einmal drei Frauen, die am Brunnen standen, um Wasser zu schöpfen. Ein alter Mann saß ebenfalls dort und hörte den Frauen zu, wie sie über ihre Söhne sprachen: „Mein Sohn ist der geschickteste und wendigste Junge im ganzen Dorf!“ ließ die erste Frau die anderen wissen. „Und meiner kann singen wie eine Nachtigall, dass jedem warm ums Herz wird.“ Die dritte Frau schwieg. „Warum sagst du nichts?“, wollten die anderen zwei wissen. „Mein Sohn ist ein ganz gewöhnlicher Junge, ohne außergewöhnliche Talente. Aber ich hoffe, dass er zu einem guten Menschen heran wächst.“ Nachdem die drei Frauen ihre Eimer gefüllt hatten, machten sie sich auf dem Rückweg. Der alte Mann spazierte hinter ihnen her. Aufgrund der schweren Last legten die Frauen schon nach kurzer Zeit eine Pause ein. Da kamen ihnen ihre Söhne entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad um Rad. „Was für ein geschickter Junge!“ riefen die zwei anderen Frauen. Der zweite Junge mit der Stimme einer Nachtigall sang ein wunderschönes Lied, und die Frauen lauschten ihm mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge ergriff wortlos die beiden Eimer seiner Mutter und trug sie heim. Die Frauen sahen den alten Mann und fragten ihn: „Was sagst du zu unseren Söhnen?“ „Eure Söhne? Ich habe nur einen einzigen Sohn gesehen!“
Nach Leo N. Tolstoi, russ. Schriftsteller, 1828-1910 (leicht umgeschrieben)
Und was will uns Tolstoi mit dieser Geschichte wohl sagen?
Vielleicht, dass nicht nur ein besonderes Talent eines Menschen bewundernswert zu sein, sondern vor allem auch ein guter Charakter.
Mich braucht Jeder, zumindest sagt Jeder, ich hätte ihm gerade noch gefehlt.