Die Waldhexe Anna und das Kind Maria Die Bäume rückten schnell dichter zusammen, der kleine Pfad wurde immer schmaler bis kaum noch etwas von ihm zu sehen war und bald kamen nur noch einzelne Strahlen des Mondes auf dem Boden an. Doch die alte Anna kümmerte sich nicht darum, sie wusste genau wohin sie ging. Der kleinen Maria, die ihr noch immer fest entschlossen folgte, fiel es aber bald sehr schwer, den Weg vor sich zu erkennen. Sie stolperte über Wurzeln und schlug sich sogar bei einem Sturz die Knie auf. Mehr als einmal fragte sie sich, wieso sie überhaupt hinterhergelaufen war. Doch jetzt gab auch für sie kein Zurück mehr, denn alleine hätte sie den Weg zur Siedlung kaum gefunden. Als Maria gerade schon überlegte, ob sie nicht doch alleine den Weg zurück fände, lichtete sich der Pfad vor ihr wieder und sie folgte der alten Anna auf eine große Lichtung mitten in dem dunklen, kalten Wald. Der Mond erleuchtete sie hell und der Schnee bedeckte so langsam die ersten Grashalme. Die Flocken schienen im Licht des Mondes zu glitzern und verliehen der Szene so einen fast schon andächtigen Ton. Die alte Anna bahnte sich ihren Weg, den Stock noch immer in der Hand, hin zu einem umgestürzten Baumstamm, auf dem sie sich seufzend niederließ. Dann, als hätte sie schon lange von ihrer kleinen Verfolgerin gewusst, sah sie Maria direkt ins Gesicht, klopfte leicht auf den Platz neben sich und lud das kleine Mädchen so ein, sich zu setzen. Vorsichtig näherte sich Maria und ließ sich nach kurzem Überlegen ebenfalls auf dem Baumstamm nieder. Es erschien ihr wie ein Frevel in die Stille zu sprechen, doch sie konnte nicht an sich halten: “Was tun wir hier?” Mit großen Kinderaugen sah sie zu der alten Frau auf, aber diese legte sich nur den Finger an die Lippen und Maria schwieg. Eine ganze Weile saßen die beiden so da und beobachteten, wie der Schnee stärker zu fallen begann und so schon bald kein Gras mehr zu sehen war. Eine kleine Bewegung am Rande der Lichtung erregte Marias Aufmerksamkeit. Es war ein Hase, der langsam zum Mittelpunkt des Kreises hoppelte. Das kleine Mädchen bemerkte ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht ihrer Begleiterin, fast als habe diese den späten Besuch erwartet. Und es blieb auch nicht bei dem Hasen. Nur wenig später lief ein Fuchs an den beiden vorbei und legte sich friedlich neben dem Hasen in den Schnee. Voller Faszination beobachtete Maria, wie kurz darauf ein Reh auf die Lichtung trat, dicht gefolgt von einem majestätisch anmutenden Hirsch. In nur wenigen Minuten kamen alle Arten von Tieren, die man sich nur vorstellen konnte, aus dem Wald und auf die Lichtung. Doch bei all der Schönheit und all der Friedlichkeit, die die Szene ausstrahlte, vermochte Maria nicht die Augen von dem Hirsch zu nehmen. Dieser durchquerte anmutig die Lichtung, die anderen Tiere des Waldes schienen im sogar Platz zu machen. Maria stockte der Atem, als sich das Tier vor der alten Anna verbeugte. Diese streckte die Hand aus, und legte sie ihm auf die Stirn, streichelte sein samtweiches Fell und murmelte, wie zu sich selbst: “Hallo, mein Freund. Ich möchte dir jemanden vorstellen.” Sie blickte Maria an. Dem Mädchen stockte der Atem, doch vorsichtig streckte auch sie die Hand nach dem Hirsch aus. Ein wenig ängstlich, doch voller Freude stellte sie fest, dass sie ihn ebenso leicht berühren konnte, wie zuvor die alte Anna. Strahlend blickte sie auf. “Es ist wunderschön!”