Es gibt wohl nur wenige Orte in Deutschland, um die sich so viele Mythen, Sagen und Legenden ranken wie um Rungholt, das bei einer gewaltigen Sturmflut im Mittelalter in der Nordsee versunken sein soll.
Die einen haben die Rungholt-Siedlung an der Westküste des heutigen Schleswig-Holsteins mit dem alten Rom verglichen, andere vermuteten dort sogar das geheimnisvolle Atlantis. Sicher ist, dass auf der Halbinsel Nordstrand 101 Jahre Rungholt-Forschung gefeiert werden - das runde 100-jährige Jubiläum musste letztes Jahr wegen Corona ausfallen. Die tollsten Fundstücke gibt es aber im benachbarten Husum zu sehen. Im Nordfrieslandmuseum Nissenhaus, kann man sogar einem echten Rungholter in die Augen schauen.
Wilhelm ist der Star der Rungholt-Ausstellung in Husum
Er heißt Wilhelm, und er ist der Star der Rungholt-Ausstellung im Nissenhaus, das nur wenige Schritte vom Husumer Bahnhof entfernt liegt. Wilhelm hat helle Haare, helle Augen und einen markanten Kinnbart. Und er könnte sicher eine ganze Menge über die Geschichte und den Untergang Rungholts erzählen. Aber der junge Mann steckt gut verwahrt in einer Vitrine, so Museumsleiterin Tanja Brümmer: "Wilhelm ist die Gesichtsrekonstuktion eines Rungholters. Wir haben einen bestimmten Schädel bei uns aus der Sammlung rausgesucht, bei dem wir auch sicher sein konnten, dass er tatsächlich im Siedlungsgebiet von Rungholt gefunden worden ist. Mit Hilfe einer Gerichtsmedizinerin wurde eine Gesichtsrekonstruktion hergestellt. Und anhand von DNA-Analysen konnten wir dann auch wirklich sagen, welche Augenfarbe und welche Haarfarbe er in etwa hatte. Ein halbes Jahr lang hat sein Schädel bei mir auf dem Schreibtisch gestanden. Ich habe ihn jeden Tag angeguckt. Und irgendwann habe ich gesagt: Guten Morgen, Wilhelm! Und dann war der Name da."
Einige Funde im Nissenhaus rauben einem den Atem
Im Gedicht von Detlev von Liliencron heißt es: "Heut bin ich über Rungholt gefahren." Was Wilhelm wohl zum Gedicht von Detlev von Liliencron sagen würde, das in Nordfriesland vermutlich jedes Kind kennt und natürlich auch im Nissenhaus zu hören ist? Vön lärmenden Leuten und betrunkenen Massen ist da die Rede, die die Nordsee als Teich verspotten und damit ihren Untergang heraufbeschwören. In Wahrheit war wohl alles ganz anders, betont Tanja Brümmer, die deshalb in der Ausstellung auch besonderen Wert auf das Alltagsleben der Menschen von Rungholt legt und weniger auf die Darstellung der großen Flut. Nervenkitzel spielt im Nissenhaus also keine Rolle.
Dafür können einem einige der gezeigten Funde durchaus den Atem rauben. "Was ich besonders großartig finde, das sind die maurischen Krüge, die im Rungholt-Gebiet gefunden worden sind. Das heißt, die kommen wirklich aus Südspanien, wo damals die Mauren gelebt haben. Außerdem haben wir islamische Ikonographien und Symboliken auf diesen Keramiken. Wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man zum Beispiel direkt am Ausguss die Hände der Fatima als Glückssymbol für denjenigen, der daraus trinkt. Und das ist ein besonders schöner Gedanke, wenn man sich vorstellt: lslam und Katholizismus gemeinsam auf Rungholt."
Bild entfernt (keine Rechte) Eine Rekonstruktion der Karte von Rungholt aus dem Jahr 1652 von dem Karthographen Johannes Mejer. Zum Vergrößern anklicken.