Die Geschlechter unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, die Absichten des Gegenübers zu interpretieren
Männer verwechseln Freundlichkeit häufiger mit sexuellem Interesse als Frauen, haben US-Psychologen gezeigt. Dahinter steckt ihren Ergebnissen nach allerdings weder böser Wille noch eine grundlegende Neigung, überall Sexuelles hineinzuinterpretieren: Männer seien schlicht und einfach weniger sensibel gegenüber Gefühlen und können sie schlechter allein anhand der Körpersprache unterscheiden als Frauen. Der deutlichste Beleg dafür sei die Tatsache, dass Männer eben nicht nur freundliche Gesten fälschlich als sexuell deuten, sondern häufig auch umgekehrt echtes sexuelles Interesse als reine Nettigkeit, schildern Coreen Farris von der Indiana University in Boomington und ihre Kollegen.
Ein Lächeln, ein flüchtiger Augenkontakt, ein kurzes Herüberlehnen und leichte Berührungen – sendet eine Frau diese Zeichen aus, kann sie dabei sowohl ein romantisch-sexuelles Interesse als auch eine freundlich-mitfühlende Haltung im Sinn haben. Diese Doppeldeutigkeit scheint vor allem Männern Probleme zu bereiten, hatten bereits frühere Studien angedeutet. Denn sie tendieren eher dazu, solche Signale als sexuell zu interpretieren, als Frauen es in der gleichen Situation tun würden.
Für diesen Effekt kommen laut Farris und ihrem Team zwei Erklärungsansätze infrage: Entweder liegt bei Männern die Schwelle, ab der eine Verhaltensweise als eindeutig sexuell eingestuft wird, tatsächlich niedriger als bei Frauen, oder aber Männer sind grundsätzlich nicht so sensibel für die Art der Signale, die eine Frau aussendet und können demnach sexuelle Hinweise nicht gut von anderen unterscheiden.
Um das abzuklären, zeigten die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Studie 280 Studenten und Studentinnen jeweils ganz kurz Fotos von Frauen, die sie in eine von vier Kategorien sollten – freundlich, sexuell interessiert, traurig oder abweisend. Das Ergebnis fiel nur zum Teil aus wie erwartet: Zwar interpretierten die Männer eine freundliche Frau in 12,1 Prozent der Fälle fälschlich als sexuell interessiert, während die weiblichen Probanden nur bei 8,6 Prozent falsch lagen. Eine Tendenz, die Bilder zu sexualisieren, ließ sich daraus jedoch nicht ablesen – denn umgekehrt übersahen die Männer auch immerhin in 38 Prozent der Fälle ein echtes sexuelles Interesse, wohingegen die Frauen nur etwa 32 Prozent fehlinterpretierten.
Es scheint also einen ganz allgemeinen Geschlechtsunterschied bei der Fähigkeit zu geben, aus nicht-verbalen Signalen auf Gefühle und Absichten zu schließen, so das Fazit der Forscher. Warum viele Frauen trotzdem das Gefühl haben, freundliche Gesten ihrerseits würden häufiger sexuell aufgefasst als umgekehrt, lasse sich ebenfalls erklären: Zum einen sei eine unerwünschte sexuelle Annäherung unangenehmer und damit auch einprägsamer als eine fehlende Reaktion auf eigene Signale. Zum anderen bemerkten viele Frauen gar nicht, dass ihre Signale auch in die andere Richtung missverstanden werden, weil sie glauben, ein Mann sei einfach nicht interessiert, wenn er nicht auf ihre unausgesprochene Einladung reagiert.
Coreen Farris (Indiana University, Boomington) et al.: Psychological Science, Band 19, Nr. 4
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