Anfang September Anlässlich einer Feier Knabbersachen auf die Tische gestellt. Ganz unverdächtig künden einige kleine Marzipanbrote das herannahende Fest der Feste an! "War'n Angebot", sagt meine Frau.OK, die Weihnachtssaison scheint offiziell eröffnet zu sein!
Letzte Septemberwoche Schulkinder auf dem Heimweg singen "Oh Tannenbaum"! Der Herd der Inspiration ist schnell ermittelt: Der Tante-Emma-Laden an der Ecke hat einen Weihnachtsmann in der Tür stehen, der mit elektrischer, papageienartiger Stimme alle paar Minuten "Hohoho" gröhlt und dann das ehrwürdige Weihnachtslied lauthals verunglimpft.
Erste Oktoberwoche Der Tante-Emma-Laden hat nachgerüstet. Alle Schaufenster sind nun mit romantischen und feuerversicherungstechnisch abgesegneten Elektrokerzen beheizt. Der 300 Meter weiter gelegene Supermarkt kann nicht anders und beginnt seinerseits mit der Weihnachtsaufrüstung. Anheimelnde 40-cm-Plastikweihnachtsbäumchen (9,98 ) mit Mikrokerzlein (3,99 Aufpreis und wenigstens der Stecker ist VDE-geprüft!) in allen Farben stehen neben verschieden großen Adventskränzen (8,99 ) mit abgeknickten Wachskerzen herum und nähren das Verlangen nach dem Weihnachtsgebäck (3,98 ), das überall im Laden - selbst in der Waschmittelabteilung - auf Tischen mit roten Deckchen (7,98 ) mit Sternchenmuster (1,48 Aufpreis) ausgebreitet ist!
Zweite Oktoberwoche Der Supermarkt veranstaltet eine Wunschzettel-Aktion für Kinder. Den Zettel dürfen sie in einen Kasten unter einer Plastiktanne einwerfen. Ein Mitarbeiter versucht ganztägig, die elektrischen Kerzen an diesem zum Leuchten zu überreden. Immerhin funktioniert aber der mechanische Weihnachtsmann in Lebensgröße, der unentwegt mit dem Kopf wackelt und ein Endlosband in seinem Inneren, das wohl einige Jährchen auf dem Buckel hat, krächzt eine Weihnachtsgeschichte. An der Kasse bekommen die Eltern den Wunschzettel ihres Sprösslings mit einem Weihnachtsgeschenk-Prospekt des Hauses in die Hand gedrückt. Es wird eben Zeit, an die Geschenke zu denken.
Dritte Oktoberwoche Der Tante-Emma-Laden ist nun völlig auf Weihnachtstripp. Anstatt der schlicht weißen Brötchentüte bekomme ich ab sofort morgens eine rote mit Tannenmuster, die gnadenlos abfärbt, wenn die Tüte nass wird (rote Brötchen???). Der "Hohoho"-Weihnachtsmann sagt nichts mehr (Batterien leer?), aber im Laden dudeln unentwegt Weihnachtslieder und draußen sind 16°C. "Ist das nich'n bißchen früh?", frage ich, und werde von meiner Frau belehrt, dass ich ein Ignorant sei und die Innenstadt bereits dauerbeschallt werde. Der Supermarkt wartet jetzt mit einer 6-Meter-Tanne auf dem Parkplatz auf, die mit mindestens 1000 E-Kerzen erleuchtet wird. Rund um den Baum herrschen 20°C wegen der Abwärme. Gute Nachrichten: Alle Geschenke für die Kinder und die Verwandtschaft sind gekauft und verpackt - sagt meine Frau!
Vierte Oktoberwoche Ich komme vom Einkaufen! Meine Frau hatte mich losgeschickt, letzte Weihnachtsgeschenke für die Verwandtschaft einzukaufen! In den Fenstern der Nachbarhäuser stehen kleine beleuchtete Pyramiden (11,98 ). Wie kitschig! Und sieh mal da, die Schmidts! Die haben alle Fenster mit blinkenden Licherketten ausstaffiert. Ihre Rolläden sind allerdings geschlossen, weil das Geblinke wohl beim Fernsehgucken nervt. Ich stelle fest, dass das beknackt aussieht, und als ich mich umdrehe und unser Haus betrachte, sehe ich meine Frau, die gerade eine wild blinkende Weihnachtspyramide ins Küchenfenster stellt. Eines weiß ich aus Erfahrung: Jetzt bloß keinen Kommentar ablassen, sonst ist nicht stille Nacht, sondern "stille Woche"! Aber als ich die Haustür öffnen will, fällt ein irre schwerer Stroh-Gips-Weihnachtsmannkopf von der Tür, weil der billige Saugnapf ihn nicht an der Scheibe festhalten kann. Ich bekomme die Schuld und darf ihn reparieren! Ich hasse das!
Erste Novemberwoche Das gesamte Haus ist rundum taghell von Lichterketten erleuchtet. Sämtliches Buschwerk im Vorgarten ist mit Lichternetzen überzogen, von denen ich jetzt schon weiß, dass ich sie im Januar nur mit einem Seitenschneider entfernen kann. 2 Lichterketten sind über, die ich gemäß Weisung meiner besseren Hälfte gefälligst in die große Tanne im Garten einzuflechten habe. Nebenbei wird mir mitgeteilt, dass ich mich beeilen müsste, denn nachher müssten noch "letzte" Weihnachtseinkäufe getätigt werden. Außerdem müsse ich noch den Stroh-Gips-Weihnachtsmannkopf reparieren, weil der ein paar Mal heruntergefallen ist.
Zweite Novemberwoche Alles schläft, einsam wacht....Ich kann nicht schlafen, weil die wohnlichen und lichtdichten Übergardinen im Schlafzimmer spärlichen, aber weihnachtlichen Vorhängen gewichen sind und die gesamte Festbeleuchtung der Nachbarschaft durch deren Ritzen genau in meine Augen leuchtet. Wie ich auch daran ziehe und zerre, irgendein penetrant helles Kerzlein blendet! Völlig übermüdet geht es am Samstag erneut zu letzten Weihnachtseinkäufen in die Innenstadt. Ich will den ganzen Kram übers Internet bestellen, aber "Frau" befindet, das sei unromatisch. Am Nachmittag repariere ich dieses Scheiss-Stroh-Gips-Kopf-Dings und befestige ihn mit sauteurem Spezialklebeband, während mein Weib mit weihnachtlich leuchtenden Augen merkürdige Weihnachtsgebilde in Window-Colour-Technik kreiert.
Dritte Novemberwoche Letzte Weihnachtseinkäufe! In der Innenstadt ist jeder Laternenmast, jeder Hydrant und jede Mülltonne mit Weihnachtsschmuck dekoriert und hell erleuchtet. Ach ja, im Gegensatz zum leuchtenden Innenstadt-Weihnachtsschmuck werden die Ampeln wie immer abends ausgeschaltet - die Stadt muss eben sparen, wo sie kann! Die Leute benehmen sich bei ihren letzten Weihnachtseinkäufen irgendwie so gar nicht weihnachtlich. Alle im Stress! Und ich will nicht mehr! Ach ja, ich kann wieder schlafen, Gott sei Dank! Das Schlafzimmerfenster ist nämlich jetzt mit Window-Colour-Bildern völlig zugepflastert, sodass kaum noch Elektrokerzenschein hindurchdringt. Der Stroh-Gips-Weihnachtsmannkopf hat gehalten, aber ich ahne, dass die Sache einen Haken haben muss!
Ende November Der Stroh-Gips-Weihnachtsmannkopf ist weg! Geklaut! Wer auch immer das war, ich bin ihm unendlich dankbar! Das würde ich aber nie offen zugeben! Also trauere ich mit meiner Frau, wohl wissend, dass es so ein Schwachsinnsteil nicht noch einmal zu kaufen gibt. Die Haustürscheibe ist natürlich kaputt, weil das Spezial-Klebeband ganze Arbeit geleistet und die Acrylglasscheibe nun einen Riss hat. Für wichtige letzte Weihnachtseinkäufe muss ich mir auf Weisung meiner Frau Urlaub nehmen! Selbst mein Arbeitgeber hat für diese Notlage Verständnis und genehmigt den Urlaub gegen meinen Willen!
Erster Dezember Ich habe meine ökologische Nische gefunden! Im Radius von 2 Metern um meinen PC, rund um mein Bett und auf dem Lokus ist weihnachtsfreie Zone! Dafür darf meine Frau den Rest des Hauses schmücken, wie sie will. Und so will auch ich mich nun der Vorweihnachtszeit nicht mehr verschließen und mache nun ein chronisch feierliches Gesicht, bis mich meine Frau fragt ob ich wieder Kopfschmerzen hätte. Und wie!
Zweiter Dezember Meine Frau hat einen sauschweren Stroh-Gips-Weihnachtsengel gefunden, den sie einfach haben musste. Der hängt jetzt wieder mit einem Saugnapf an der Haustür. Kurze Zeit später ist schlagartig dunkel im Haus! Die Sicherung ist rausgeflogen, weil Wasser in den VDE-geprüften, wetterfesten Trafo der Garten-Weihnachtsbeleuchtung eingedrungen ist. Bei näherer Untersuchung stelle ich fest, dass das VDE-Zeichen nur für den Stecker gilt! Der Rest ist "Made in ..." irgendwas, das ich weder lesen und schon gar nicht aussprechen kann. Bei dem Versuch, mich im Dunkeln nach draußen zu tasten, stolpere ich über etwas, das sich im Licht einer Taschenlampe als ein Stroh-Gips-Weihnachtsengel outet, der heruntergefallen ist. Den repariere ich später und es wird sich dann sicher auch noch eine neue Lichterkette mit VDE-geprüftem Trafo für den Außenbereich finden lassen.
ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich gänzlich ungeniert ... Karl Marx ist tot, Einstein ist tot, und mir ist auch schon ganz schlecht ... *** Du kannst dem Leben nicht mehr Tage geben,aber dem Tag mehr Leben... ***