INTERVIEW: Hundetrainer Martin Rütter über die Psyche von Zwei- und Vierbeinern
Gütersloh. Die Beziehung zischen Hund und Mensch ist von großen Emotionen, aber nicht immer von Harmonie geprägt. Das liegt an Grundsätzlichem: der eine bellt, knurrt, schweigt oder wedelt, der andere spricht, brüllt oder droht mit dem Zeigefinger. Versteht der eine den anderen nicht, bedarf es, wie bei einer zerrütteten Ehe, eines Psychologen. NW-Mitarbeiterin Anette Isringhausen sprach mit Hundetrainer Martin Rütter über zwei, die sich häufig streiten, sich ständig missverstehen und dennoch nicht voneinander lassen können.
Herr Rütter, das wievielte Interview geben Sie heute? MARTIN RÜTTER: Das achte.
Haben Sie noch Zeit für Ihre Hündin Mina? RÜTTER (empört): Ich bitte Sie, die nehme ich mir. Mina ist auch während meiner Vortragsreisen immer bei mir.
Als routinierter Interviewpartner darf ich Sie mit Zitaten berühmter Zeitgenossen überraschen. Fangen wir mit Astrid Lindgren an: "Man kann in Hunde nichts hineinprügeln, aber manches herausstreicheln." RÜTTER: Richtig ist, dass Prügeln nicht nur moralisch verwerflich ist, sondern auch vom Lerneffekt, das ist erwiesen, nichts bringt. Es ist aber naiv, wenn Frauchen sich vor ihren Hund, der gerade den Postboten gebissen hat, hinkniet und sagt: "Also, darüber reden wir noch."
"Mit einem kurzen Schwanzwedeln kann ein Hund mehr Gefühl ausdrücken als ein Mensch mit stundenlangem Gerede." (Louis Armstrong) RÜTTER: Es ist ein Missverständnis, dass der Hund nur mit dem Schwanz wedelt, wenn er sich freut. In diesem Fall wackelt meist der ganze Po mit. Aber er wedelt auch unmittelbar vor einer Beißattacke, nur ist der Rest der Körpersprache anders, er ist angespannt.
"Ich habe große Achtung vor meinem Hund. Er kann Menschen schneller und gründlicher einschätzen als ich." (Bismarck) RÜTTER: Ich glaube nicht, dass ein Hund ein Menschenkenner ist. Aber Hunde sind exzellente Beobachter. Ihre Kommunikation läuft über Mimik und Optik. Deshalb kann er Situationen schnell einschätzen. Er bettelt z.B. sofort bei der Schwiegermutter, wenn sie zu Besuch ist. Weil er weiß, dass niemand ihr das Leckerli-Geben verbietet.
Mein Hund mag aber manche auf den ersten Blick, andere nicht. RÜTTER: Dann haben Sie einen Hund, der besonders sensibel ist, aber das ist nicht zu verallgemeinern. Ein Labrador, der optimal auf Menschen sozialisiert ist, beäugt keinen mit Skepsis. Der findet alle Leute lustig.
Kommen wir zu Ihrem neuen Buch "Hund-Deutsch". Haben Sie den Sprachführer ernst gemeint? RÜTTER: Zeitgleich ist mein Buch "Sprachkurs Hund" erschienen. Das ist ein Fachbuch, das Wissen über das hündische Verhalten vermittelt. Mit dem Wörterbuch wollte ich vielmehr dem Menschen auf unterhaltsame Weise einen Spiegel vorhalten. Es steckt viel Wahrheit darin, aber nur, was die menschlichen Verhaltensweisen dem Hund gegenüber betrifft.
Sie haben mal gesagt, wenn ein Hund nicht gehorcht, ist die Beziehung zu seinem Besitzer das Problem. Inwiefern? RÜTTER: Es gibt zwei große Missverständnisse oder Kardinalfehler. Erstens: es fällt uns schwer, den Hund als Hund zu sehen. Das hat mit den Emotionen, mit der Nähe zu tun, ist aber auch ein gesellschaftliches Phänomen. Der Hund ist kein Nutztier mehr wie früher, sondern er hat nur noch die Aufgabe, ein geselliger Begleiter zu sein. Für mich auch. Mina ist Familienmitglied. Das ist schon eine starke Vermenschlichung.
Und das zweite? RÜTTER: Der Mensch erwartet von seinem Hund, dass er nur da ist. Die meisten Hunde machen deshalb Probleme, weil sie unterbeschäftigt sind. Körperliche Bewegung reicht nicht.
Ich muss meinem Hund doch wohl keine intellektuellen Herausforderungen bieten. RÜTTER: Aber ja. Nehmen wir Ihren Hund, der ja, wie Sie sagen, in Spanien auf der Straße lebte. Der musste sich täglich Strategien ausdenkt, wie er überlebt. Der konnte nicht sagen, ich latsch’ dann mal zur Mülltonne, da ist bestimmt ’ne Dose Chappi drin. Dem Hund wird gewöhnlich alles automatisch angeboten. Daraus entsteht Langeweile. Der eine kompensiert das, indem er träge wird, der andere verzapft Blödsinn.
Welche Aufgaben soll man stellen? RÜTTER: Das ist unterschiedlich. Ein Labrador macht für ein Leckerli einen Salto rückwärts, aber es gibt Hunde, die nicht so schnell zu euphorisieren sind. Nehmen wir mal einen Border-Collie, also einen Hütehund, da muss ein Training hochkonzentriert sein und auch mal zwei, drei Stunden dauern.
Ist das Verhältnis zwischen Hund und Mensch besser geworden, seitdem es Sie gibt? RÜTTER: Ich glaube nicht, dass Klein-Martin die Welt ändern kann. Aber ich erlebe gerade bei meinen Live-Auftritten, dass die Menschen zwar Spaß haben, sich aber dennoch wiedererkennen. Und deshalb setzen sie sich auch damit auseinander. Mir geht’s nicht darum, dass ein Hund gedrillt wird, sondern dass er besser verstanden wird, dass ihm mehr angeboten wird.
Hat sich in den letzten Jahren denn nichts verbessert? RÜTTER: Doch. Natürlich stirbt dieser Schwachsinn mit den Stachelhalsbändern, und dieses Siiiiiiitz werde ich wahrscheinlich noch lange ertragen müssen. Aber ein Indiz ist, dass früher nur Menschen mit großen Hunden zu uns kamen, heute auch mit kleinen. Den Glauben, dass Schäferhunde "abgerichtet" werden müssen und der Schoßhund nicht zu erzogen werden braucht, gibt es nicht mehr.
Warum können dann noch die wenigsten Hunde korrekt an der Leine gehen? RÜTTER: Ich stell’ mal die Behauptung auf, dass das 95 Prozent der Hunde betrifft. Auch dies ist wieder ein von Menschen verursachtes Phänomen: Sie nehmen den Hund an die Leine, um ihn von A nach B zu transportieren. Die Leute rufen ihn im Park, er kommt und kommt nicht, und wenn er endlich kommt, wird er angeleint. Immer hört der Spaß an der Leine auf. Außerdem ist Mensch leider darauf ausgerichtet, nur etwas zu sagen, wenn der Hund einen Fehler gemacht hat. Der Hund läuft 20 Minuten brav an der Leine. Kein Lob, keine Aufmerksamkeit. Dann zieht er, und sofort heißt es: Fuuuuß! Aha, denkt der Hund, ich bekomme Aufmerksamkeit, also ziehe ich.
Kann man einem notorischen Leinenzieher das noch abgewöhnen? RÜTTER: Na klar, aber das erfordert Geduld, die haben die wenigsten Menschen. Man muss sich auch fragen: Warum will mein Hund immer von mir weg? Bin ich so langweilig? Da ziehe ich jetzt mal die Parallele zum Menschen. Wenn Sie mit Ihrem Mann spazieren gehen und der interessiert sich die ganze Zeit nur für die Schaufenster und nicht für Sie, dann stimmt etwas Grundsätzliches in der Beziehung nicht.
Sind Frauen die besseren Hundeversteher? RÜTTER: Absolut. Frauen sind viel reflektierter und deutlich konsequenter. Die Frauen, und das hat biologische Gründe, sind viel beziehungsorientierter in der Erziehung. Beispiel: Bei einem Hausbesuch sage ich: "Vorsicht, Ihr Hund wird beißen." Die Frau sagt: "Was muss ich tun, um das zu verhindern?" Der Mann: "Wenn der einmal zubeißt, fliegt er raus."
Kann nur der Hund vom Menschen lernen? RÜTTER: Oh nein. Ich habe von meiner Hündin Mina viel gelernt. Das wichtigste: Geduld. Ich wollte immer schnelle Fortschritte im Training. Dann bekam ich Mina, und bei ihr ging mit diesem "Ich mach’ das mal schnell" gar nichts. Mit ihrer stoischen Gelassenheit hat sie mich komplett ausgesessen. Ich erinnere mich an eine Szene. Sie stand auf dem Kompost, fraß einen Apfelrest. Ich sage "Aus", sie schaut mich ruhig an und schluckt den Apfel runter. Mina ist von der Lernleistung eher unterdurchschnittlich. Aber ihre soziale Kompetenz ist enorm. Ich kenne wenig Hunde, die so konsequent nach ihrem Vorteil suchen und ihn auch finden.
Zum Schluss bitte ein Tipp. Ich habe einen Dackel, der sehr eigensinnig ist. RÜTTER: Die meisten unterschätzen beim Dackel seine Jagdpassion. Dackel sind ein wenig wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Im Haus angenehm, schmusig. In der Natur: Nase auf den Boden und lass gehen, Kapelle! Dackel sind schon sehr speziell.
Meiner pinkelt ans Sofa, wenn ich ihn allein lasse, ist das Dackel-speziell? RÜTTER: Nein. Dieses Markieren machen gewöhnlich Hunde, die es gewohnt, sind exorbitant viel Aufmerksamkeit zu bekommen und es einfach empörend finden, wenn sie mal einen Moment allein gelassen werden.
Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass ich das Problem bin? RÜTTER: Ich fürchte doch.