Die neuen Zahlen der internationalen Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind erschreckend: Etwa 142.500 Tier- und Pflanzenarten stehen auf der Liste der gefährdeten Arten, mehr als 40.000 davon gelten als akut vom Aussterben bedroht. Laut der Umweltschutzorganisation WWF ist das das größte Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier.
Der WWF sieht jedoch nicht alles negativ: In Teilen der Erde gibt es Tier- und Pflanzenbestände, die sich langsam erholen. Dabei handelt es sich um Orte, an denen Menschen intensiv an Natur- und Artenschutz arbeiten. Daher zieht der Verband eine Bilanz von Gewinnern und Verlierern im Tier- und Pflanzenreich für das Jahr 2021.
„Beim Artenschutz geht es längst nicht mehr nur um die Beseitigung eines Umweltproblems, sondern um die Frage, ob die Menschheit nicht irgendwann auf der Roten Liste in einer Gefährdungskategorie landet und zum Verlierer ihrer eigenen Lebensweise wird“, sagte Eberhard Brandes, geschäftsführender Vorstand beim WWF Deutschland.
Der Klimawandel ist eine existentielle Bedrohung für die Menschheit, da gibt es kaum Zweifel. Doch Expert:innen glauben, dass das Artensterben mindestens so gefährlich ist. Wir sollten dieser schleichenden Krise mehr Aufmerksamkeit schenken.
Dass die Klimakrise unser Leben auf diesem Planeten zunehmend ungemütlich macht, dürfte inzwischen den meisten Menschen klar sein. Nicht nur für die vielbeschworenen Eisbären am schmelzenden Nordpol wird die Zeit knapp, die gesamte Menschheit sieht ihrem eigenen Ende ins Auge, wenn die Temperaturen weiter steigen.
Dass eine solche Gefahr auch durch eine andere, leisere Krise droht – und zwar sowohl für den Eisbären als auch für den Menschen – ist weniger bekannt. Dabei hängen beide Probleme eng zusammen: Das Artensterben bedroht die menschliche Existenz in ähnlichem Maße wie der Klimawandel. Und der Klimawandel ist eine Ursache für das Artensterben.
„Wir könnten tatsächlich den Beginn des sechsten Massenaussterbens beobachten“
Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten sind derzeit vom Aussterben bedroht, schätzt der Weltbiodiversitätsrat IPBES. So dramatisch diese Zahl auch klingt: Die Schätzung ist zum einen eher konservativ. Zum anderen sagt sie nichts darüber, was das bedeutet, für die Ökosysteme des Planeten und letzten Endes für die Menschheit.
Die Autoren einer recht spektakulären Studie von Anfang 2022 kritisieren, dass in Berechnungen zu gefährdeten Arten viel zu wenige Spezies berücksichtigt würden. Wirbellose etwa, die rund 95 Prozent der bekannten Arten ausmachen, würden kaum einbezogen.
Die Studienautoren um den Biologen Robert H. Cowie vermuten, dass wir am Beginn eines großen Massenaussterbens stehen. Sie haben exemplarisch die Aussterberate von Weichtieren (Muscheln und Schnecken) errechnet und glauben, alles deute auf eine sehr viel höhere Aussterberate hin als bisher bekannt – ein Zeichen für das das sechste Massenaussterben. Das fünfte übrigens war das Ende der Dinosaurier.
„Wir könnten tatsächlich den Beginn des sechsten Massenaussterbens beobachten“, schreiben die Wissenschaftler. Sie sehen die Biodiversitätskrise als menschengemacht – eine unangenehme Parallele zum Klimawandel.
Auch die Nachhaltigkeits-Forscherin und Biologin Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger vom Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn ist der Ansicht, dass das sechste Massenaussterben bereits begonnen hat. Der Unterschied zu den bisherigen fünf Massenaussterben sei, dass dieses Mal der Mensch der Haupttreiber sei und nicht, wie in der Vergangenheit, beispielsweise natürliche geologische Prozesse. „Zum ersten Mal erleben wir, dass eine einzelne Art für das Aussterben extrem vieler anderer Arten verantwortlich ist“,
sagt die Wissenschaftlerin. Sie kennt sich aus mit dem Thema: Sie ist Ko-Autorin für einen neuen Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES, der aktuell erarbeitet wird.