Im Oktober jährt sich die deutsche Wiedervereinigung zum 25. Mal. Die Mauer,die das Land fast 30 Jahren teilte, war aber nicht unüberwindbar – einigen gelang die Flucht in einem amerikanischen Auto.
Bild entfernt (keine Rechte) Kurz nach dem Mauerbau im August 1961 winken Westberliner in Richtung Osten. In den knapp 30 Jahren, in denen die Mauer die Stadt teilte, gelang in Berlin mehreren Tausend Menschen die Flucht in den Westen. (Bild: Franz Hubmann / Keystone)
Wenn sich die Ehemaligen heutzutage treffen, dann sitzen die Tunnelgräber am einen Tisch, die Passfälscher an einem anderen. Die Tunnelgräber seien eher die Rechten, die Passfälscher eher die Linken, erklärt Burkhart Veigel die Kategorisierung der ehemaligen Fluchthelfer. Er ordnet sich eher letzteren zu. Das waren vor allem Mediziner – wie Veigel selber. Nach dem Bau der Mauer hat er zusammen mit seinen Leuten 650 Personen bei der Flucht aus Ostberlin geholfen. Eigentlich viele. Aber der 77 Jahre alte, ehemalige Fluchthelfer konstatiert: So viele ertrinken heute bisweilen an einem Tag im Mittelmeer.
Einmal Mercury, einmal Dodge
Mit der DDR hatte der Student Veigel, der in Thüringen geboren, aber in Stuttgart aufgewachsen war, eigentlich nichts am Hut. Er hatte weder Verwandte dort, noch wollte er unbedingt eine Freundin rüberholen. «Ich habe nie unter dem System gelitten. Aber Freiheit ist für mich ein ganz hohes Gut», begründet er seine damalige Tätigkeit.
Als die DDR am 13. August 1961 über Nacht eine Mauer baute, die Berlin endgültig in Ost und West teilte, hatte dies auch zur Folge, dass rund 400 Studenten der Freien Universität ihr Studium nicht fortsetzen konnten, da sie im Osten der Stadt wohnten. Gleich zu Semesterbeginn wurde Veigel von Freunden angesprochen, ob er helfen wolle, die Kommilitonen aus dem Osten rauszuschmuggeln. Er sagte sofort zu. In 396 Fällen waren sie erfolgreich. Vier wurden geschnappt. Nur einer wollte nicht – das habe niemand verstanden, erzählt Veigel. Der eine, der im Osten bleiben wollte, sollte später sozialdemokratischer Ministerpräsident von Brandenburg werden – Manfred Stolpe.
Tunnel graben war allerdings nicht so sehr Veigels Sache. «Ich bin ein Kopfmensch», erläutert er. Nur einmal hat er bei einem Tunnelprojekt mitgeholfen. Er konzentrierte sich eher auf andere Wege der Fluchthilfe – und hatte dabei eine besondere Idee. Veigel kaufte 1964 einen elfenbeinweissen Cadillac DeVille Coupé mit schwarzem Dach und Weisswandreifen, Baujahr 1957. Darin konnte jeweils eine Person über die Grenze transportiert werden.
Gefahren wurde das Auto meist von einem Ehepaar, das nicht selten einen Hund bei sich hatte. Die beiden gaben sich als Antiquitätenhändler aus; den Kofferraum hatten sie jeweils mit alten Lampen vollgestopft. Antiquitätenhandel mit dem nichtsozialistischen Ausland war damals ein gängiges Geschäft.
Zur Sicherheit vermied man deutsch-deutsche Grenzübergänge, benutzte jene in der Tschechoslowakei oder von Österreich aus in die CSSR und nach Ungarn. Der Wagen wurde zudem immer wieder umgebaut: Nachdem er sechsmal die Grenze als Cadillac passiert hatte, wurde ihm nicht nur eine neue Schnauze verpasst; er wurde auch anders lackiert und erhielt neue Nummernschilder. So fuhr er dann als Mercury, Buick, Chevrolet oder als Dodge. An der Grenze war die amerikanische Karosse allerdings immer ein Hingucker. «Dabei ist uns zugutegekommen, dass die Grenzer die amerikanischen Autos nicht kannten. Dieser grosse amerikanische Wagen, Symbol Kapitalismus, hat natürlich Respekt abgenötigt. Die haben das Auto bewundert. Es gab kein Misstrauen», erinnert sich Weigel.