Privatpatienten bekommen schneller Termine! Das Ergebnis einer Studie des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie konnte erstmals nachweisen, was eigentlich sowieso jeder wusste: Privatpatienten werden bevorzugt. Die Fragen der Forscher beschränkten sich aber auf Untersuchungen, die offensichtlich kein Notfall waren, wie Magenspiegelungen oder Hörtests. Bei lebenswichtigen Untersuchungen - so ist zu hoffen - gibt es den Unterschied nicht. Aber Privilegien sind offensichtlich: Zweibettzimmer im Krankenhaus und Behandlung durch den Chefarzt. Und der Hausarzt nimmt sich - wahrscheinlich - mehr Zeit. Vor allem im Servicebereich werden Privatpatienten ganz offensichtlich bevorzugt.
Es geht ums Geld
Aber sie bezahlen dafür einen hohen Preis - nicht nur in Euro! „Privatpatienten werden im Durchschnitt seltener in die Klinik überwiesen als Kassenpatienten“, sagt Christian Weber, Leiter des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherungen. Warum das? Ihr Hausarzt handelt einfach wirtschaftlich logisch: Ein akut erkrankter Patient braucht in der Hausarztpraxis viele Termine, viele Untersuchungen und teure Medikamente. Das belastet bei Kassenpatienten das Budget der Praxis, denn die Leistungen sind im Prinzip schon mit dem ersten Praxisbesuch im Quartal abgegolten. Jeder weitere Besuch bringt nicht mehr viel ein. Bei Privatpatienten dagegen wird jede Leistung einzeln vergütet - der kranke Patient ist, wirtschaftlich gesehen, hochwillkommen. Das hat gerade wieder eine von der Hans-Böckler-Stiftung initiierte Studie bestätigt (siehe Kasten).
Schon allein deshalb wird der Privatpatient nicht schnell in die Klinik abgeschoben. Ob eine leichtfertige oder eher eine zögerliche Klinikeinweisung für den Patienten selbst von Vor- oder Nachteil ist, hängt natürlich von der Krankheit ab.
Bedrohlicher ist ein zweiter Effekt: „Die Menge der ambulanten ärztlichen Leistungen steigt bei Privatpatienten in jedem Jahr um etwa vier Prozent an“, sagt Weber. Diese Zahl spiegelt den entscheidenden Unterschied zwischen Kassenpatienten und Privaten wieder. Der Privatpatient bekommt in jedem Jahr mehr Untersuchungen und Behandlungen. Es besteht die Gefahr der Überversorgung, und die ist nicht ohne Risiko. Denn es geht bei den vier Prozent um einen echten Zuwachs an medizinischen Leistungen - nicht um simple Preissteigerungen. Die gibt es nicht im privatärztlichen System, denn was ein Aufnahmegespräch kostet oder eine Sonographie des Bauches, ein EEG oder ein Ultraschall des Herzens steht seit langem fest.
Eine jährliche Ausgabensteigerung von vier Prozent heißt also wirklich: vier Prozent mehr ärztliche Leistungen. Das ökonomische Motiv der Ärzte hinter diesem Wachstum ist leicht zu verstehen: Eine Kassenarztpraxis ist seit Jahren „gedeckelt“, das heißt, sie darf nur so viel Umsatz machen, wie im letzten, vorletzten und vorvorletzten Jahr (mit nur minimalen Abweichungen). Der einzige Spielraum, den der Kassenarzt hat, sind die selbst zu zahlenden Zusatzangebote (die so genannten Individuellen Gesundheitsleistungen IGeL) - und eben die Privatpatienten. Jede zusätzliche Untersuchung, jede Behandlung bringt Honorar. Und so ist nicht überraschend, dass dieser wirtschaftliche Ausweg genutzt wird.
Das Ausmaß dieser „Nutzung“ ist umstritten. Von 6,9 Prozent jährlichem Zuwachs bei niedergelassenen Ärzten ist die Rede. Besonders kompromisslos scheinen sich dabei die Heilpraktiker der Privaten anzunehmen: Von 11 Prozent Wachstum ist die Rede. Die Zahlen sind umstritten - jede Interessengruppe überrascht mit eigenen Untersuchungen. Klar ist aber: Die Privatpatienten bekommen Jahr für Jahr mehr Medizin - Tabletten, Untersuchungen und Behandlungen. „Damit haben wir möglicherweise eine Überversorgung, vielleicht sogar eine Gefährdung der Privatpatienten“, sagt Gerd Glaeske, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.
Warum ist das gefährlich? Neue und teure Medikamente sind nicht automatisch besser: „Der Zwang zum wirtschaftlichen Denken bei den Gesetzlichen Kassen kann auch ein Schutz sein vor zu schneller Einführung neuer und gegebenenfalls nicht ausreichend bekannter Medikamente“, sagt Glaeske. Zwar sind neu zugelassene Medikamente grundsätzlich sicher - trotzdem fehlt die oft jahrelange Beobachtung seltener Nebenwirkungen. Risiko Nebenwirkung
Sind die neuen Medikamente ihren Vorgängern deutlich überlegen, kann man dieses Risiko tragen. Handelt es sich aber um Scheininnovationen, Neuentwicklungen ohne entscheidende Vorteile gegenüber den bewährten und billigeren Präparaten, ist das Risiko inakzeptabel. Nicht immer ist das teurere und neuere Medikament auch das bessere. Allzu häufig landet es trotzdem auf dem Privatrezept - und die Privatpatienten werden zum Versuchskaninchen für die Allgemeinheit.
Warum greifen die Privatkassen nicht ein und schützen ihre eigenen Versicherten? Man könne in die ärztliche Therapiehoheit sowieso nicht eingreifen, heißt es. „Aber bitte nicht zitieren!“ Man zahlt einfach und fragt nicht weiter nach. Übermäßige Kontrolle verbiete sich auch, weil - so eine häufige Aussage - nicht unwichtige Teile der eigenen Versicherten Ärzte und Apotheker seien, die man keinesfalls verärgern wolle.
Einige zögerliche Versuche, die direkte Konfrontation zu umgehen, sind telefonische Hotlines: Wenn Patienten über ihre Behandlung verunsichert sind, können sie diskret am Telefon eine ärztliche Zweitmeinung einholen, ohne dass ihr Arzt es merkt. Das kann auch vor der irrigen aber gängigen Annahme schützen, jede weitere Untersuchung, jede weitere Tablette bringe mehr Sicherheit und Gesundheit.