obwohl altern unabwendbar ist, kann man eine lange Weile tun,als bemerke man sein wirken nicht. Erste Grauhaare werden übertönt, Man tauft seine Krähenfüße Lachfältchen, eigentlich findet man das Altern in diesem frühen Stadium gar nicht so schwierig – Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem der Augenarzt feststellt: „sie brauchen eine Lesebrille.“ Ich? auf einmal tritt ein Wort in mein Leben, das ich nie richtig wahrgenommen habe, außer als Teil meiner häkelnden Oma, und in meiner Handtasche steckt ein neues Utensil,das ich nicht besitzen will. auch wenn der Optiker mir ein hypermodernes, lustigbuntes Gestell verpasste,bleibt es ein unübersehbares Brandzeichen: Diese Frau ist schon so lange auf der Welt, dass ihre Nahsichtkraft drastisch nachgelassen hat. Die Lesebrille ist der peinliche Vorläufer einer Krücke, und ich kann kein weites Oberteil darüber tragen. Seit dem Tag, an dem ich in ihren Gebrauch gedrängt wurde, sind meine jugendlichen Illusionen restlos verflogen. ich ahnte gar nicht, wie oft diese Sehhilfe zum Einsatz kommt,sondern nahm an, ich hätte sie für Notfälle in der Handtasche liegen,wie eine Nagelfeile. Doch wo vorher ein paar gedankenlos scharfer Augen war,ist von nun an und für den kläglichen Rest meiner Zukunft alltäglich tausendmal Notfall. Jedem simplen Blick auf etwas kleineres ist die stundenlange suche nach dem E tui, das auseinanderfummeln der Bügel, das kollisionsfreie aufsetzen des Gestells vorgeschaltet,und jeder kann es sehen: Diese Frau führt schon Verhandlungen mit einem Bestattungsinstitut. Um den unübersehbaren Beweis meiner Reife nicht aufsetzen zu müssen,sagte ich anfangs „hübsch!“ zu allen verschwommenen Fotos,die man mir auf winzigen Handy-Bildschirmen zeigte,tippte im Restaurant bei Kerzenschein auf eine verwischte Zeile in der Speisekarte und behauptete, dass ich genau das essen wollte,auch wenn es Pfefferminztee war. Ich irrte durch fremde Straßen,weil Stadtpläne für mich nur buntscheckige Flecken waren,und konnte Preisen auf Preisschildchen gerade eben ansehen,ob sie zwei- oder dreistellig waren. Unauffällig tupfte ich mit der Nase auf Bus-Abfahrtszeitstafeln und genauso unauffällig hielt ich Zeitungen auf armeslänge von mir weg.Nur zuhause, wo keiner guckte, setzte ich das Hilfsgerät auf,doch meine Versuche, mir mit den halben Gläsern vor den Augen die Wimpern zu tuschen, schlugen fehl. ich begriff, warum viele ältere Frauen aufhören, sich zu schminken. Weil sie so oder so nichts mehr sehen, besteht die Gefahr,dass sie wie Karnevalisten das Haus verlassen. wir von der Lesebrillenfraktion wissen, dass aufbäumen gegen dieses neue Körperteil letztendlich nichts nützt und noch jeder mit den fadenscheinigsten Begründungen zur Benutzung gekrochen ist. Giovanni di Lorenzo zum Beispiel trat neulich an ein Pult,um eine Rede zu halten, sortierte sein Manuskript und zog mit einem gezierten lächeln dieses typisch schmale Gestell heraus. Er entschuldigte sich beim Auditorium niedlich betrübt,dass er ohne dieses Zeichen der intellektuellen auf einmal gar nicht mehr auskäme.,er hatte wohl keine häkelnde Oma. ich besitze inzwischen sogar noch eine zweite Lesebrille,damit ich nur noch halb so lange nach ihr suchen muss und registriere schmerzlich, dass ich jetzt auch vom letzten jugendlichen mit „sie“ angesprochen werde. Aber eins schwöre ich: niemals werde ich mir eine Kette besorgen und das Ding vor meiner Brust baumeln lassen. dann kann ich mir auch gleich ein elektrisches Heizkissen anschaffen.
Guten Morgen, ich habe überall eine Lesebrille liegen, am Bett, im Wohnzimmer, am PC und auch in der Einkaufstasche. Ich lasse mir des öfteren eine neue machen ( Feelmann) und die älteren deponiere ich dann sinnvoll in der Wohnung. Gute Sicht für alle. LG dagi