Neurostimulation kann chronische Schmerzen lindern
* Patienten mit chronischen (seit mindestens sechs Monaten vorhandenen) Schmerzen können unter Tel. 0 70 71 / 29-8 66 79 oder 29-8 64 49 einen Termin in der Ambulanz der Neurochirurgie des Universitätsklinikums Tübingen vereinbaren. Voraussetzung ist, dass zuvor konservative und medikamentöse Therapieversuche erfolgt sind und psychische oder psychosomatische Erkrankungen als Ursache der Schmerzen ärztlich ausgeschlossen wurden.
Schon in der Antike experimentierten Menschen mit elektrischen Impulsen gegen Schmerz. Ihre Energiequelle waren damals Fische, die Stromstöße abgeben.
Nachdem dieser Therapieansatz lange in Vergessenheit geraten war, beschrieben Mitte der 1960er-Jahre die beiden Forscher Ronald Melzack und Patrick Wall erstmals wissenschaftlich die Wirkungsweise, die sich die funktionelle Neurochirurgie nun zunutze macht. Verschiedene sensorische Informationen werden über parallele Nervenbahnen übertragen, die sich gegenseitig behindern. Werden bestimmte Nerven gezielt durch elektrische Impulse gereizt, so verdrängen diese Signale an den Schaltstellen im Rückenmark und im Gehirn andere Reize, die als Schmerz wahrgenommen werden.
Am Tübinger Universitätsklinikum hat man sich frühzeitig mit den neuen Möglichkeiten beschäftigt. In den vergangenen fünf Jahren wurden umfangreiche klinische Erfahrungen mit dem Verfahren gesammelt. Heute ist die Tübinger Neurochirurgie bundesweites Referenzzentrum für Neurostimulation, Patienten aus ganz Deutschland und aus dem Ausland suchen hier Hilfe.
Die Ergebnisse sind überzeugend: „Patienten mit chronischen Schmerzen, bei denen chirurgische Eingriffe und medikamentöse oder physikalische Therapieformen nicht erfolgreich waren, dürfen sich von der Rückenmarksstimulation Besserung erhoffen“, sagt Dr. Guilherme Lepski, Facharzt der Tübinger Universitätsklinik für Neurochirurgie.
Bei einer kleinen Operation mit lokaler Betäubung wird eine Elektrode in den Spinalkanal eingebracht. Noch während des Eingriffs prüft der operierende Arzt den korrekten Sitz der Elektrode durch elektrische Signale, die an der von Schmerzen betroffenen Körperregion ein leichtes Kribbeln erzeugen. Nach der Operation liefert ein kleiner, zunächst außerhalb des Körpers angebrachter Pulsgenerator die Signale. Eine Woche lang wird so die schmerzhemmende Wirkung im Alltag des Patienten beobachtet. Bei Erfolg wird dann auch der Signalgeber unter die Haut verpflanzt.
„80 Prozent aller Patienten sind mit dem Ergebnis zufrieden und erleben die Intensität des Schmerzes um mindestens die Hälfte reduziert“, so Dr. Guilherme Lepski. Für chronisch schmerzgeplagte Patienten bedeutet dies eine erhebliche Verbesserung ihrer Lebensqualität. Die Therapie hat – abgesehen von dem erzeugten Kribbeln, das von den Patienten nicht als unangenehm empfunden wird – praktisch keine Nebenwirkungen. Jedenfalls keine unerwünschten: Bei Patienten mit Gefäßverengungen führen die elektrischen Impulse sogar zu einer Erweiterung der Blutbahnen.
In Frage kommt diese neue Therapieform*, deren Kosten bei entsprechender Indikation von den Krankenkassen übernommen wird, für eine Vielzahl chronischer Schmerzpatienten. Erfolgreich behandelt wurden bereits Patienten nach Rückenoperationen, bei denen trotz beseitigter Kompression der Nervenwurzeln Schmerzen im Rücken oder in den Beinen zurückgeblieben waren. Auch bei Durchblutungsstörungen in Füßen oder Händen wie bei der periphen arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) oder nach Entzündungskrankheiten hat sich die Methode bewährt, ebenso bei chronischer Angina pectoris, beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) und vielen Formen der Neuralgie.
Ansprechpartner für nähere Informationen
Universitätsklinikum Tübingen Klinik für Neurochirurgie Dr. Guilherme Lepski Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen Guilherme.Lepski@med.uni-tuebingen.de
Dr. Ellen Katz | Quelle: Informationsdienst Wissenschaft Weitere Informationen: www.uni-tuebingen.de