Es ist Ende September 1989. Immer mehr DDR-Bürger sammeln sich in der Deutschen Botschaft in Prag. So an die 5.000 Menschen sind es bereits, alle Räume der Botschaft sind belegt. Die Treppen werden zu Schlafstellen, Zelte sind im Garten aufgebaut, der mittlerweile einer Schlammwüste gleicht. Manche sind schon seit vier Monaten da und warten darauf, endlich in den Westen zu kommen. Die Gefahr von Seuchen droht, da die Sanitäreinrichtungen nur für das Botschaftspersonal ausgelegt sind. Also müssen Ärzte her. Und da kommt Dr. Eckhardt Kibbel aus Hassendorf (Kreis Ostholstein) ins Spiel. Am 29. September vor 25 Jahren gegen 14 Uhr bekommt er einen Anruf vom Roten Kreuz Schleswig-Holstein. "Da wurde ich gefragt, ob ich nach Prag fahren könnte, um ärztlich tätig zu werden, weil das Außenministerium die Situation nicht mehr bewältigen konnte." Spontan sagt er "ja", und schon am nächsten Morgen geht es los Richtung Prag.
Mit dem VW-Bus von Schleswig-Holstein zur Botschaft
Ein Visum hat Dr. Kibbel nicht, er und weitere DRK-Mitarbeiter wollen mit ihrem VW-Bus als Touristen über die Grenze, als sie plötzlich die Nachricht erreicht: Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist in der Botschaft, die Ausreise der DDR-Bürger wurde genehmigt, die Leute fahren nun alle raus. Soll der Einsatz des Arztes tatsächlich schon zu Ende sein, bevor er richtig los geht? Alles in Butter? Keine Hilfe mehr notwendig?
Was ist da los in Prag?
Egal, denkt sich Eckhardt Kibbel, nun sind sie schon so weit gefahren. "Ich wollte mir das da jetzt einfach angucken, nur gucken, wie fahren die Leute raus. Mehr wollte ich nicht. Nur eine Nacht in Prag schlafen und dann wieder nach Hause." Doch Schlaf sollte der Arzt in dieser Nacht nicht mehr bekommen.
Ein heilloses Chaos
200 Kilometer sind es noch bis zum Ziel, also los und auf zur Deutschen Botschaft. Endlich dort angekommen öffnet Dr. Kibbel die Tür zum Botschaftsgebäude. Tausende Menschen sind dort - ein heilloses Durcheinander. "Und dann kam so ein gut gekleideter Herr auf mich zu und fragte: Sind Sie der Doktor vom Roten Kreuz? Ich sage: Ja, das bin ich. Sagt er: Ich bin der Botschafter, das ist ja fein, dass Sie da sind, nun können Sie mal dafür sorgen und organisieren, dass die 5.000 Leute alle gut in die Busse und in die Züge kommen."